Dass Radfahren sehr kommunikativ ist, weiß wohl kaum jemand so gut wie Miriam Jablonski. Eben erst hat sich die Polizeihauptkommissarin vor ihrer Wache an der Hammer Straße in Münster aufs Rad geschwungen, um in Richtung Prinzipalmarkt zu starten. 3,3 Kilometer sind das. Ein Klacks eigentlich. Wären da nicht die vielen Menschen, die auf die Polizistin im Radler-Outfit reagieren würden. „Na, trainiert ihr? Ich mach mit!“, ruft eine Mittvierzigerin ihr freundlich zu. Hier ein lockerer Spruch, dort ein Hallo und Wiedererkennen. Immer wieder steigt Miriam Jablonski ab, weil Menschen sie direkt ansprechen: „Ich hab da mal eine Frage …!“
Schon seit ihrem ersten Dienstjahr ist die 46-Jährige mit dem Rad unterwegs. Eine Rarität damals, auch in der Fahrradstadt Münster. Inzwischen arbeitet Jablonski als Dienstgruppenführerin Radstreife und koordiniert die Einsätze der elfköpfigen Fahrradstaffel. Von der alltäglichen Ahndung von Verstößen im Straßenverkehr über Demos bis zu den Heimspielen von Preußen Münster – die 2007 gegründete Staffel ist mit dabei und oft im Vorteil gegenüber den Kolleginnen und Kollegen im Streifenwagen.
„Wir hören auf dem Rad auch den Funk mit und sind gerade in der Innenstadt häufig schneller vor Ort“, sagt Miriam Jablonski. Und: „Die Menschen haben keine so große Hemmschwelle, uns anzusprechen. Wir können auf Augenhöhe agieren. Radler fühlen sich von einer Rad fahrenden Polizistin besser verstanden.“
Münster, die Fahrradstadt, muss etwas tun. Die Zahlen sind eindeutig: 57,5 Prozent der Verunglückten in Münster sind Fahrradfahrer. Insbesondere die Zahl der beteiligten Pedelec-Nutzer ist stark angestiegen. „Das Risiko, Opfer eines Verkehrsunfalls mit Personenschaden zu werden, ist in keiner Stadt so groß wie in Münster“, erklärt Hauptkommissarin Nicole Pollert, Leiterin des VD Stadt.
Wie unter einem Brennglas zeichnet sich in Münster die überall im Land eingeleitete Verkehrswende ab. Fahrräder, E-Bikes, Pedelecs, E-Scooter, wohin man sieht. Väter und Mütter, die ihre Kinder in ausladenden Lastenrädern durch die Stadt schaukeln, auf dem Weg zu Kita, Einkauf oder Freunden.
Klar, in Münster mit seinen über 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, da mag das gehen, wird manch einer argumentieren. Aber selbst in der Millionenstadt Köln sind Polizeibeamtinnen und -beamte längst aufs Fahrrad umgestiegen. Sie haben in einem zweijährigen Projekt sogenannte S-Pedelcs, bis zu 45 km/h schnelle Räder, getestet. Das Ergebnis fiel eindeutig aus. Die per Akku unterstützten Velos bieten der Polizei eine „hervorragende Möglichkeit, im Verkehr ‚mitzuschwimmen‘“, so Jens Liebenau von der Fahrradstaffel der Kölner Polizei.
Liebenau ist überzeugt, dass den Radstaffeln die Zukunft gehört. „Hier in Köln sind gerade viele Kurierdienste auf Lastenräder umgestiegen. Die Pakete werden von Lastwagen in zentrale Lager transportiert und dort aufs Rad umgeladen. Irgendwann werden die Innenstädte autofrei sein“, erklärt Liebenau.
Münster, keine Frage, kann in Sachen Fahrrad auf eine lange Tradition, auf viel Erfahrung und stadtplanerisch auf einen großen Vorsprung gegenüber anderen Städten setzen. 43,5 Prozent der Wege werden in Münster mit dem Rad, per „Leeze“, bewältigt – wie Räder in Münster genannt werden. Doch auch hier plant man unverdrossen weiter und probiert in sogenannten Reallaboren neue Wege. Fahrspuren werden zugunsten von Radwegen reduziert. Parkplätze und Parkhäuser werden umgewandelt. Der vorhandene Verkehrsraum soll neu aufgeteilt, die Stadt umweltfreundlicher werden. Das funktioniert nicht immer reibungslos, mancher Plan muss der Realität angepasst werden.
Schusssichere Weste, Helm, Radler-Baggyhose und die Waffe im Holster: Miriam Jablonski, die Münsteraner Polizistin, ist auf dem Rad nicht nur wegen der vielen reflektierenden Aufdrucke „Polizei“ eindeutig zu erkennen. Gerade passieren sie und ihre Kollegin Monika Hilgenbrink die Wolbecker Straße. Seit zwei Jahren können Radlerinnen und Radler hier entscheiden, ob sie auf der Straße oder auf einem Radweg neben den Fußgängern fahren wollen. Doch die meisten bevorzugen den Radweg. Zu dicht gedrängt, zu gefährlich ist ihnen die Fahrbahn. Was wiederum manche Fußgängerinnen und Fußgänger verärgert.
„Hallo! Ich hab mal eine Frage!“, ruft ein Mann auf dem Gehweg der vorbeiradelnden Miriam Jablonski zu. Und eh sie sich versieht, steckt die Hauptkommissarin mitten in einer Diskussion. Wer denn nun im Recht sei, wenn es hier, wo Rad- und Fußgängerweg so dicht nebeneinander lägen, zu einem Unfall käme. Wie sei denn da die rechtliche Situation? Es geht hin und her. Der Mann kennt sich aus. Miriam Jablonski geht freundlich auf ihn ein und erklärt ihm die geltende Rechtslage.
Auch in Aachen arbeitet die Verwaltung an der Mobilitätswende. 30 Prozent der Wege werden in Aachen schon jetzt zu Fuß absolviert, 11 Prozent mit dem Fahrrad. Bis 2030 will die Stadt Klimaneutralität erreichen, unter anderem durch komfortable Fuß- und Fahrradwege sowie durch einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr. „Die Bürger Aachens sind da sehr initiativ und die Politik erwartet bei der Umsetzung hohe Standards. Diese Veränderung fällt nicht immer leicht“, sagt Isabel Strehle, Fachbereichsleitung Stadtentwicklung, -planung und Mobilitätsinfrastruktur der Stadt Aachen.
Aber es gehe um mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität in Aachen. Und die Verwaltung erhalte viele positive Rückmeldungen, etwa weil Quartiere ruhiger geworden sind. „Jede Stadt hat eine andere Prägung und gerade für solche, die nach dem Krieg autofreundlich wiederaufgebaut wurden, ist die Verkehrswende eine Herausforderung. Die Kaufleute pochen dabei auf die Erreichbarkeit der Innenstädte. Das bedeutet aber nicht, dass man mit dem Auto vor dem Schaufenster parken kann. Auch der Einzelhandel braucht mehr denn je ein attraktives Umfeld“, erklärt Strehle.
Selbst in den wenig fahrradfreundlichen Städten des Ruhrgebiets findet eine Art Abstimmung mit den Füßen statt. Auch dort steigen die Menschen immer häufiger aufs Rad und erwarten von ihren Kommunen, dass für sie mehr und sichere Wege geschaffen werden. Das Tauziehen um den Verkehrsraum hat begonnen.
„Die Verkehrswende geschieht so schnell. Wir als Polizei müssen einfach dranbleiben“, sagt Jens Liebenau von der Kölner Fahrradstaffel. Dranbleiben, das bedeutet für ihn wie für viele andere Polizisten auch, aufs schnelle Pedelec umzusteigen. Die Münsteraner Polizistin Monika Hilgenbrink sieht das so: „Vor Kurzem bin ich mit dem Rad einem mit dem Handy telefonierenden Autofahrer bis in die Tiefgarage gefolgt. Als ich ihn dann ansprechen wollte, habe ich erst mal nach Luft gerungen. Der grinste und meinte ironisch: ,Wie? Kein E-Bike?‘“